Geschichtliches
1876 – 1918: Gründerzeit, 1. Weltkrieg
“Wo man singt, da lass Dich ruhig nieder, böse Männer haben keine Lieder”
Mit diesem Aufruf beginnt im Sommer des Jahres 1876 die Geschichte des Gesangvereins Liederkranz Talheim. Damals hatten sich um Schullehrer Hugo Schüssler 11 Männer versammelt, um das sogenannte “Talheimer Doppelquartett” zu gründen.
Die Gründung des Gesangvereins fiel in eine Zeit, die als die „Gründerjahre” bezeichnet wird. Nach dem deutsch-französischen Krieg der Jahre 1870/71 kam es im Jahre 1871, begleitet von einer Welle patriotisch-nationaler Gefühle, zur Gründung des deutschen Reiches. Es schlossen sich damals die Länder Bayern, Hessen-Darmstadt, Württemberg und Baden dem Norddeutschen Bund an. Der preußische König Wilhelm I. wurde Kaiser, Otto von Bismarck war Reichskanzler.
Die Gründungsmitglieder des Talheimer Doppelquartetts 1876
1. Tenor
- Karl Bader
- Robert Kurz
- Karl Schmied
1. Bass
- Louis Ensinger
- Louis Feyerabend
2. Tenor
- Louis Ellwanger
- Adolf Kögel
- Gärtner Schmalzhaf
2. Bass
- Wilhelm Ensinger
- Rudolf Meintel
- Fritz Krauß
Auch wirtschaftlich war es eine Zeit der großen Veränderungen. Die Eisenbahn verbreitete sich mehr und mehr und ab ca. 1870 begann die Phase der Hochindustrialisierung, in der die optische, die Motoren- und Elektroindustrie dominierte. In diese Zeit fällt mit der Einführung der Kranken-, Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung (1881-1889) auch der Anfang staatlicher Sozialpolitik, womit auf die oft erbärmlichen Lebensverhältnisse der Industriearbeiter und der zunehmenden Bedeutung der sozialistischen Arbeiterbewegung reagiert wurde.
Auch in Talheim machte sich die Gründerzeit durch viele Bautätigkeiten bemerkbar, die das Ortsbild, aber auch das Leben im Ort wesentlich veränderten. So wurde 1879 das “neue” Rathaus gebaut, das bis 1983 Amtssitz der Talheimer Gemeindeverwaltung bleiben sollte. Die katholische Kirche wurde 1886 fertig gestellt und sowohl ein evangelisches (1880) als auch ein katholisches (1893) Schulhaus unterstrichen Stellenwert von Bildung in der neuen Zeit. Mit der Einweihung der Bahnstrecke Heilbronn – Marbach und der Einrichtung einer Poststelle im Jahre 1900 war Talheims infrastrukturelle Anbindung wesentlich verbessert worden. Die Einführung einer Wasserleitung 1908 und die beginnende Elektrifizierung 1910-1912 sorgten schließlich für eine Verbesserung der Lebensqualität der Talheimer.
Trotz Industrialisierung in Deutschland blieb Talheim eine überwiegend landwirtschaftlich geprägte Gemeinde, wobei Weinbau, Kartoffelanbau und Obstbau die größte Rolle spielen. Mehrere Steinbrüche waren die einzigen vorhandenen Industriebetriebe.
Diese Epoche kann auch als Epoche der Vereinsgründungen betrachtet werden. So war es auch in Talheim. Vereinsarbeit war zu dieser Zeit reine Männersache. Geregelt wurde dies in einem Bundesgesetz aus dem Jahr 1854, nach dem es Frauen verboten war, in Vereinen mitzuwirken. Dieses Gesetz galt bis 1908. Gründungsanlässe für Gesangsvereine waren oft die Freude am Singen und der Wunsch nach gediegener Geselligkeit. Dieses waren mit Sicherheit wesentliche Gründe für die Gründung des Talheimer Doppelquartetts. Denn aus den Protokoll- und Kassenbüchern geht deutlich hervor, welchen Stellenwert die Geselligkeit im Verein hatte. So wurde auf Vereinsfeiern und Sitzungen immer auf Kosten des Vereins getrunken. In den Kassenbüchern finden sich regelmäßig Positionen, die den Erwerb einiger (nicht weniger) Fässer Bier illustrieren.
Der Verein übte sich jedoch nicht nur in geselligem Beisammensein, sondern nahm auch regelmäßig an Festen im Ort, zum Beispiel an einer Sedansfeier im Jahr 1883, aber auch an Festen im näheren Umkreis teil. So sei hier ein Bezirksfest in Sontheim im Jahre 1884, ein Feuerwehrfest in „Kalten Westen”(heute Neckarwestheim) im selben Jahr, ein Sängerfest in Heilbronn (1886) oder die Fahnenweihe in Flein (1892) erwähnt. Auch von Vereinsausflügen wird berichtet. Diese führten den Verein nach Bad Wimpfen (1907), Marbach am Neckar (1909) oder auch nach Güglingen, Michelsberg und Bönnigheim (1911). Dabei war es Gang und Gäbe, bei Festen und Ausflügen jedem teilnehmenden Vereinsmitglied ein Festgeld auszubezahlen, das sich zwischen 0,50 und 3 Mark bewegte. Einen Obolus vom Verein erhielt bei den Festen auch der „Täfelesträger”. Sowohl die Bezahlung von Fest- und Ausflugsgeld als auch die Bezahlung von Bier bei Vereinsanlässen endete im Jahre 1914, im Rahmen einer Verringerung der Mitgliedsbeiträge.
Gesungen wurde zudem auf Hochzeiten, Geburtstagen und Beerdigungen von Vereinsmitgliedern und gegen Gebühr auch bei Nicht-Mitgliedern. Ein besonderes Jahr in der Vereinsgeschichte ist das Jahr 1906. In diesem Jahr wurde aus dem Talheimer Doppelquartett der Gesangverein Liederkranz. Dirigent war damals Lehrer Kuch, auf den, nach dessen plötzlichem Ableben 1907, Lehrer Weber folgte. Friedrich Krauß wurde erster Vorstand. Der Verein hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 25 aktive Mitglieder. Von diesem Jahr an wurden regelmäßig im Februar Familienabende veranstaltet, bei denen neben Gesang auch immer Theaterstücke zur Aufführung kamen und zwar so erfolgreich, dass diese teilweise noch ein zweites Mal öffentlich aufgeführt wurden. So im Jahre 1910, was dem Verein damals Einnahmen in Höhe von 32 Mark einbrachten.
Besonders zu erwähnen ist auch das Verhältnis des Vereins zur evangelischen Kirche. Obwohl der Liederkranz ein weltlicher Chor war, kann davon ausgegangen werden, dass er teilweise auch die Aufgaben eines evangelischen Kirchenchors übernahm. Im Gegenzug erhielt er von der evangelischen Stiftungspflege jährlich einen Zuschuss in Höhe von 25 Mark. Auch bei der Anschaffung eines Klaviers im Jahre 1909 beteiligte sich der evangelische Schulfonds mit 50 Mark an den Gesamtkosten von 200 Mark. Dafür wurde das Klavier auch für den Unterricht in der evangelischen Schule verwendet.
Am 28.7.1914 erklärte Österreich-Ungarn nach der Ermordung des k.u.k.-Thronfolgers Serbien den Krieg. Der erste Weltkrieg hatte begonnen. Auch der Liederkranz Talheim war betroffen. Von 24 aktiven Sängern müssen 14 zum Kriegsdienst einrücken. Jeder von ihnen erhält aus diesem Anlass 3 Mark vom Verein. Gemessen an den großen Verlusten des Krieges hat der Verein Glück. Nur ein Mitglied (Karl Braun) kehrt nicht zurück. Das Protokollbuch verweist auf den Kriegsausbruch, dann Enden die Aufzeichnungen bis 1919. Aus dem Kassenbericht geht aber hervor, dass der Verein zumindest bis ins Jahr 1916 auch gesanglich aktiv war.
Vorstände
1876 – 1903 | Hugo Schüssler |
1903 – 1906 | Sänger des “Doppelquartetts” |
1906 – 1909 | Friedrich Krauß |
1909 – 1928 | Herrmann Sillinger |
Dirigenten
1876 – 1903 | Lehrer Schüsser |
1903 – 1906 | Sänger des “Doppelquartetts” |
1906 – 1907 | Lehrer Kuch |
1906 – 1907 | Lehrer Weber |
1908 – 1914 | Lehrer Rauscher |
1914 – 1916 | Hauptlehrer Lang |
1916 – 1920 | Hauptlehrer Leichtle |
Was sonst noch war…
1876 | Nikolaus August Otto erfindet den Viertaktmotor. Die ersten Bayreuther Festspiele beginnen. |
1877 | In Berlin erhält Franziska Tiburtius als erste Ärztin die Zulassung. |
1878 | In Hannover wird der erste deutsche Fußballverein gegründet. |
1880 | Der Kölner Dom wird nach einer Bauzeit von 632 Jahren vollendet. |
1883 | Karl Marx stirbt im Alter von 74 Jahren in London. |
1885 | Carl Benz stellt den ersten Benzin-Motorvvagen vor. |
1886 | Der bayrische König Ludwig 11 ertrinkt Im Starnberger See. |
1887 | Emil Berliner erfindet das Grammophon |
1895 | Wilhelm Conrad Rontgen entdeckt die Röntgenstrahlen. |
1896 | Die ersten olympischen Spiele der Neuzeit finden in Athen statt. |
1897 | W. Krische und A. Spitteler entwickeln den es.e.tp Kunststoff. |
1898 | K.F. Braun erfindet die Bildröhre @.r.eyn;gne Röhre). |
1900 | Im Großherzogtum Baden haben Frauen erstmalig unbeschränkten Zugang zu den Hochschulen. |
1901 | In Stockholm werden zum ersten Mal die Nobelpreise verliehen. |
1908 | Nach der Gründung des DFB verliert Deutschland sein erstes Länderspiel gegen die Schweiz mit 5:3 |
1912 | Die Titanic sinkt am 14. April im Nordatlantik. Von 2207 Passagieren und Besatzungsmitgliedern werden nur 712 gerettet. |
1915 | Albert Einstein veröffentlicht die “Allgemeine Relativitätstheorie”. |
1918 – 1933: Die Weimarer Republik
Obwohl es nach dem Sieg Deutschlands über Russland im März 1918 noch so ausgesehen hatte, als ob der Krieg für Deutschland gewinnbar sei, brachte der Eintritt der USA in die Kampfhandlungen die entscheidende Wende. Trotz aussichtsloser Situation war Kaiser Wilhelm II nicht bereit, auf die Forderungen der Alliierten einzugehen und Deutschland in eine Demokratie umzuwandeln. Der Versuch einer Umwandlung durch Reichskanzler Prinz Max von Baden im Oktober 1918 kam zu spät: Meuternde Matrosen und aufständische Arbeiter trugen die Revolution nach Berlin. So musste der Kaiser am 9.11.1918 abdanken und ins Exil nach Holland gehen. Friedrich Ebert (SPD) rief in Berlin die Republik aus, Matthias Erzberger (Zentrum) unterzeichnete am 11.11.1918 in Compiègne die Waffenstillstandserklärung.
Der neue Staat war von Anfang an mit schweren Problemen belastet. Gewaltige Reparationsleistungen waren zu zahlen, politische Kämpfe zwischen Demokraten, rechts- und linksextremen Vereinigungen vergifteten das Klima im Land, mehrere Putschversuche destabilisierten die Ordnung. Und der Rückhalt, den der demokratische Gedanke in den Köpfen der Menschen hatte, war minimal.
In Talheim war von den revolutionären Umtrieben dieser Jahre wenig zu spüren. Ein “Arbeiter- und Bürgerrat” findet nur in einem Gemeinderatsprotokoll kurz Erwähnung. Die Tatsache, dass der Krieg zu Ende war, war den meisten Bürgern wohl wichtiger, als die Wirren im fernen Berlin. Auch der damalige Schultheiß Helmer blieb im Amt (bis zu seinem Tod 1933). Veränderungen anderer Art gab es hingegen schon: Die größten Teils noch heute gültigen Straßennamen wurden in den zwanziger Jahren eingeführt und ein Kriegerdenkmal (heutiger Rathausplatz) gebaut (1925).
Auch in den Protokollbüchern des Liederkranzes finden die politischen Veränderungen keinerlei Erwähnung. Die Aufzeichnungen beginnen wieder im November 1919 mit der Bemerkung, dass zum ersten Mal seit Kriegsende ein gemütlicher Abend des Vereins abgehalten wurde. Vorstand Hermann Sillinger prägte während seiner 19¬jährigen Amtszeit (1909-1928) in dieser Epoche den Liederkranz Talheim in besonderem Maße.
Ein großes Problem, das die Vereinsarbeit in den frühen 20erJahren belastete, war die Dirigentenfrage. Durch Versetzung der Lehrer, die diese Stelle innehatten, gab es immer wieder Phasen ohne festen Dirigenten. Im Jahre 1923 wurde sogar darüber beraten, den Verein in Ermangelung eines Dirigenten aufzulösen, was jedoch abgelehnt wurde.
Als Folge des Weggangs von Dirigent Faber im Jahre1927 kam es offensichtlich sogar zu größeren Verstimmungen im Verein, was zum Austritt mehrerer aktiver Mitglieder führte. Der Grund waren wohl Streitigkeiten über die Auswahl der zu singenden Lieder. Es wurde daraufhin ein “Musikausschuss” gegründet, um das Problem zu lösen. Auch der Mangel an Sängernachwuchs machte dem Verein zu schaffen. Ein Sitzungsprotokoll aus dem Jahre 1927 formuliert es drastisch: Der Vorstand “erklärte, dass der Verein unter diesen Umständen nicht weiterleben kann.”
Probleme stürzten auch von außen auf den Verein ein: Die schwere Staatsverschuldung und die daraus resultierende Geldvermehrung führten im Jahre 1923 zu einer galoppierenden Inflation in Deutschland, was auch den Liederkranz Talheim traf. So verzeichnet das Protokoll eine Beitragserhöhung von 4 Mark auf 100 Mark im März und auf 500 Mark im Juni. Im November wurde der Beitrag dann auf 20 Goldpfennige festgelegt, die in Naturalien “und zwar in Form von Mehl – Eier etc.” zu bezahlen waren. Auch die Bezahlung des Dirigenten sollte in Naturalien erfolgen. Im Protokoll der Generalversammlung von 1924 liest man, dass die Inflation das Vereinsvermögen entwertet hat und die Kasse eine „0“ aufweist.
Es gab in den Jahren 1918-1933 jedoch auch freudige Anlässe für den Verein. Hier seien die Fahnenweihe im Mai 1926 und das 25-jährige Vereinsjubiläum im Juli 1931 genannt, die beide mit großen Festen begangen wurden.
Der Beschluss des Vereins, eine Vereinsfahne zu beschaffen, wird im Jahre 1922 gefasst. Wohl aufgrund der Geldentwertung durch die Inflation 1923 taucht das Thema „Fahne” aber erst wieder im Jahre 1925 in den Protokollbüchern auf. Es wird beschlossen, die Fahne im Jahre 1926 zu beschaffen. Jedes Mitglied soll dabei einen Beitrag von 5 Mark an den Anschaffungskosten leisten.
Im August 1925 werden Reisende der Firmen “Rommel & Ackermann, Stuttgart” und “Karl Neff, Biberach an der Riss” bestellt, um ihre Angebote abzugeben. Man entscheidet sich für die Firma Neff, die bis zum 1. Mai 1926 für 830 Mark eine Fahne liefern soll, die folgendermaßen beschrieben wird: 1,30m x 1,30m; eine Seite creme, mit oberem Schloss, in der Ecke Traubenkränze, Inschrift “Gesang – Verein ¬Liederkranz Talheim 1906 1926” in Gold hochgestickt; die zweite Seite hellblau, mit Lyra und Schwan, in den Ecken Eichenlaub, Inschrift “In Freud und Leid zum Lied bereit” und Lyra in Gold hochgestickt.
Am 30. Mai 1926 war es dann soweit. Der Tag der Fahnenweihe war da, Schaustände und ein Karussell waren errichtet, 1000 Festbänder, 50 Rosetten und Willkommensbänder und 12 Schärpen für die Festdamen schmückten Ort und Teilnehmer, ein Umzug und ein Tanzabend waren vorbereitet. Das Protokoll dieses Tages, geschrieben von Vorstand H. Sillinger, liest sich wie folgt:
Vorstände
1909 – 1928 | Hermann Sillinger |
1928 – 1934 | Adolf Blessing |
Dirigenten
1916 – 1920 | Hauptlehrer Leichtle |
1920 – 1920 | Lehrer Armbruster |
1920 – 1922 | Hauptlehrer Riethmüller |
1922 – 1923 | kein ständiger Dirigent |
1923 – 1925 | Lehrer Eugen Neun |
1925 – 1927 | Lehrer Albert Faber |
1927 – 1927 | Lehrer Hermann Grünewald |
1927 – 1929 | Lehrer Schäfer |
1929 – 1935 | Hauptlehrer Fritz Speck |
Was sonst noch war…
1918 | Der erste Weltkrieg hat bis zu seinem Ende 8 Millionen Soldaten das Leben gekostet. Die Bolschewiken ermorden in Jekaterinenburg die russische Zarenfamilie. |
1919 | In Weimar wird auf Initiative von Walter Gropius das Bauhaus eröffnet. |
1920 | In den USA beginnt die Zeit der Prohibition. Alkoholherstellung, -handel und -konsum werden verboten. |
1921 | Der kanadische Mediziner F. G. Banting isoliert zum ersten Mal Insulin. |
1922 | Benito Mussolini ergreift in Italien die Macht. “Der Brandstifter” ist der erste deutsche Tonfilm. |
1923 | Am 29. Oktober geht der erste Radiosender in Berlin auf Sendung. |
1925 | Mit Paul von Hindenburg wird ein Demokratiegegner Reichspräsident. Werner Heisenberg, Max Born und Pascual Jordan begründen die Quantenmechanik |
1926 | In Berlin werden zum ersten mal Verkehrsampeln in Betrieb genommen. |
1927 | Charles Lindbergh überquert im Alleinflug nonstop den Atlantik. |
1928 | Alexander Fleming entdeckt das Penicilin. Hans Geiger und Walter Müller erfinden den Geigerzähler. |
1930 | Uruguay wird erster Fußball-Weltmeister. Marlene Dietrich wird durch den Film “Der blaue Engel” weltberühmt. |
1933 – 1945: NS-Zeit und 2. Weltkrieg
Die durch die ökonomische Krise ausgelöste Arbeitslosigkeit und Armut trugen zum Aufstieg der NSDAP und Adolf Hitler bei. Hinzu kam die geringe Verwurzelung der Demokratie, was auch mit ihrer Entstehung als Bedingung der Siegermächte des 1.Weltkriegs verbunden war, genauso wie die “unvollständige” Revolution von 1918, die die Führungsschicht des Kaiserreichs weitestgehend im Amt beließ. Der Versailler Vertrag, der als Knebelvertrag betrachtet wurde und der die demokratischen Politiker, obwohl sie kaum politischen Spielraum hatten, als “Erfüllungsgehilfen” der Siegermächte dastehen ließ, wie auch die von Hindenburg in die Welt gesetzte “Dolchstoßlegende”, die den demokratischen Kräften die Schuld an der Niederlage von 1918 gab, trugen hierzu ebenso ihren Teil bei. Auch strukturelle Schwächen der Weimarer Verfassung und eine eklatante Fehleinschätzung der Gefahr, die von Hitler ausgeht, durch bürgerlich-konservative und sozialdemokratische Politiker führten letztendlich zur Machtergreifung Hitlers.
Der erste Schritt hierzu war Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30.1.1933. Als am 27.2. der Reichstag brannte, nutzte Hitler die Chance des Augenblicks um mit der “Verordnung zum Schutz von Volk und Staat” (“Reichstagsbrandverordnung”) die Grundrechte aufzuheben und damit die formale Grundlage seiner Regierung, das eigentliche Staatsgrundgesetz des 3. Reiches, zu schaffen. Mit dem “Ermächtigungsgesetz” vom 24.3.1933 wurde die Gesetzgebungskompetenz auf die Reichsregierung und damit Hitler übertragen und somit de facto die Gewaltenteilung aufgehoben. Schließlich wurden SPD und KPD zerschlagen und verboten und am 14.7.1933 durch das Gesetz “gegen die Neubildung von Parteien” die NSDAP als einzige Partei in Deutschland institutionalisiert. Auch die Länder wurden gleichgeschalten und somit der Föderalismus aufgehoben. Das Gesetz über das Berufsbeamtentum sorgte für die Gleichschaltung von Rechtsprechung und Verwaltung. Mit dem Röhm-Putsch (30.6. – 2.7. 1934) riss Hitler schließlich die Legislative an sich, womit der Führerstaat endgültig eingerichtet war.
Die Gleichschaltung machte auch nicht vor dem Vereinsleben halt. Die Verbandsführung des deutschen Sängerbundes setzte schon im Vorfeld der Gleichschaltung das Führerprinzip auf allen Verbandsebenen durch. Zur gleichen Zeit wurde die Arbeit des politisch eher links stehenden Arbeiter-Sängerbunds bereits ab März 1933 durch die Machthaber massiv beeinträchtigt. Ab Mai begann dann die Auflösung des Arbeiter-Sängerbundes.
Auch die Protokolle des Liederkranzes Talheim spiegeln das Geschehen wieder. Es wird von “Umwälzungen im Vereinsleben” gesprochen, ausgelöst durch die “Revolution”. Der Arbeiter-Gesangverein “Sängerlust” in Talheim wurde mit der Begründung aufgelöst, dass es in Gemeinden bis 2000 Einwohnern nur noch einen Gesangverein geben durfte. Das bescherte dem Liederkranz eine “stattliche” Anzahl neuer Sänger, da etliche Sänger des Arbeiter-Gesangvereins zum Liederkranz wechselten. Damit löste sich das akute Mitgliederproblem des Vereins der frühen 30er-Jahre.
Zu weiteren Veränderungen kam es dann im Jahre 1934. Im Protokoll der Generalversammlung vom 21. 1. 1934 steht zu lesen: “Der schwäb. Sängerbund verlangt laut Statuten, dass die Vereinsleitung der heutigen Zeit entsprechend neu gewählt, oder aber durch einige NSP [Nationalsozialistische Partei, d. Verf.]- Mitglieder ergänzt werden müsse. Deshalb trat die ganze Vereinsleitung zurück.” Bei der Neuwahl wurde Karl Wildförster Vereinsvorstand. Auch die Bezeichnung “Vorstand” und “Beirat” gab es nicht mehr. Offiziell hieß es jetzt “Führer” und “Führerbeirat”. Die Bezeichnung “Vorstand” taucht jedoch ab dem Jahre 1935 wieder häufig in den Protokollbüchern auf. Ab 1936 wurden die Mitglieder des “Führerbeirats” nicht mehr gewählt, sondern vom Vereinsführer bestimmt.
Auch die Anlässe für Auftritte des Vereins änderten sich. Sang man 1928 noch beim 25 jährigen Jubiläum der Talheimer SPD, so beteiligte man sich nun an den “Deutschen Abenden” der Talheimer SA, nahm an einem “Saardankgottesdienst” anlässlich der Eingliederung des Saarlands ins Reich (1935) teil und sang auf den Feiern anlässlich des Führergeburtstags (1941). Auch “Wahlveranstaltungen” der NSDAP wurden musikalisch untermalt. Diese Wahlveranstaltungen hatten jedoch nichts mit freier, gleicher und geheimer Wahl zu tun. Das wird auch in einer Bekanntmachung des Talheimer Bürgermeisteramts zu solch einem Plebiszit am 19. August 1934 deutlich: “Die Gemeinde Talheim muss dieses Mal unter allen Umständen eine 100%ige Beteiligung und “JA”-Stimmenzahl melden können. Wer der Wahl fernbleibt, oder mit Nein stimmt, hat jedes Recht als Talheimer und als Deutscher verwirkt.”
Es gab jedoch auch in dieser Zeit “unpolitische” Vereinsauftritte. Man beteiligte sich an mehreren Wertungssingen, sang oft auf Hochzeiten von Mitgliedern und nahm an Sänger- und Liederfesten in Heilbronn (1934) und in Stuttgart (1938) teil. Auch am “Talheimer Herbst”, der in den Jahren 1934 – 1938 stattfand, beteiligte man sich regelmäßig.
Besonders problematisch war in dieser Zeit die Frage des Vereinsausfluges. So brachte der einzige größere Ausflug in der Zeit von 1933 bis 1945 den Verein im Jahre 1936 nach Bad Mergentheim. Ausflüge in den Jahren 1935, 1937 (Hohenzollern), 1938 und 1939 (Bruchsal, Schwetzingen) wurden zwar geplant bzw. diskutiert, aber wegen geringem Interesse der Mitglieder nicht durchgeführt. Offensichtlich konnte ein großer Teil der Mitglieder das hierfür nötige Geld nicht aufbringen. Deshalb fanden Ausflüge ab dem Jahre 1940 nur im Rahmen von Wanderungen in der näheren Gegend, zum Beispiel nach Schozach oder nach Nordheim, statt.
Am 26.4.1939, 5.5.1939 und am 28.7.1939 gab es gemeinsame Sitzungen des Vorstandes des Liederkranzes und des katholischen Kirchenchors “Cäcilia” zwecks eines Zusammenschlusses beider Vereine. Die Verhandlungen scheiterten jedoch. Das Protokoll sagt nichts über die Gründe des Scheiterns aus. Nach dem Scheitern der Verhandlungen wurde vom Liederkranz ein gemischter Chor gegründet.
Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann am 1. September 1939 der 2. Weltkrieg. Als direkte Folge des Kriegsausbruchs wurden im September 1939 die Singstunden eingestellt. Schon im Oktober wurden sie jedoch auf Drängen des Gaus wieder aufgenommen. Die Reihen des Chores waren von da an gelichtet, da viele Sänger zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Verstärkung fand der Verein durch etliche Frauen: Im Jahre 1940 verzeichnet das Protokoll den Beitritt von “1 1 Mädchen”. Unter Chormeister Robert Edler, den der Verein im Jahre 1939 verpflichten konnte, sang der Verein in den Jahren 1940/41 mehrfach für das Rote Kreuz und das Winterhilfswerk. Auch für die ausmarschierten Sängerwurde gesammelt.
Die Protokollaufzeichnungen enden mit der Versetzung Edlers im Juli 1941. Aus den Kassenberichten kann jedoch darauf geschlossen werden, dass mindestens bis ins Jahr 1944 weitergesungen wurde, offensichtlich unter der Leitung von Oberlehrer Speck, der den Verein schon in den Jahren 1929-35 geleitet hatte.
Der Einmarsch amerikanischer Truppen in Talheim am 14.4.1945 beendete für die Talheimer den Krieg. In diesen Tagen leistete die Hochstetter-Wirtin Hedwig Knöll dem Verein einen besonderen Dienst: Sie rettete die Vereinsfahne, indem sie sie von einem amerikanischen Panzer zog. Fahnen waren für amerikanische Gls ein besonders beliebtes Souvenir. Insgesamt beklagte man im Ort 91 Gefallene und 37 Vermisste. Weltweit hatte der zweite Weltkrieg über 36 000 000 Menschen das Leben gekostet.
Bilder aus dieser Zeit
Vorstände
1945 – 1970: Wiederaufbau und Wirtschaftswunder
Am 9. Mai 1945 endete der 2. Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Deutschland wurde durch die Einrichtung von vier Besatzungszonen unter den Siegermächten USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion “aufgeteilt”. Da sämtliche administrativen und politischen Strukturen zerschlagen waren und sich Deutschland vollständig den Siegermächten unterworfen hatte, waren die Siegermächte auch für die Verwaltung in ihrer jeweiligen Zone zuständig. Das Ziel der Besatzungsmächte war dabei zunächst, Deutschland klein zu halten und es so nie wieder zu einer Bedrohung für seine Nachbarn werden zu lassen.
Die Lebensbedingungen in den ersten Jahren nach dem Krieg waren jedoch erbärmlich und erreichten ihren Tiefpunkt erst im Jahre 1947. Weite Teile des Landes waren eine einzige Trümmerwüste, wichtige Infrastruktureinrichtungen wie Brücken oder Eisenbahnstrecken waren zerstört, es gab keine staatliche Ordnung. Not und Chaos herrschte in den Straßen. Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge verschärften die eh schon vorhandene Wohnungsnot. Es fehlte besonders an Lebensmitteln und Heizmaterial. So standen 1946 jedem Deutschen pro Tag im Schnitt nur 1000 Kcal zur Verfügung. Zu alledem kamen noch sehr harte Winter 1946 und 1947 hinzu. Das Geld hatte seinen Wert verloren und so stand “Hamstern” auf der Tagesordnung. Der Schwarzmarkt blühte in dieser Zeit.
Der aufkommende kalte Krieg zwischen den entstehenden Militärblöcken in Ost und West sorgte jedoch bald dafür, dass sich die Politik der Besatzungsmächte gegenüber Deutschland änderte, da Deutschland aufgrund der weltpolitischen Lage plötzlich ein gewisses Gewicht hatte. Die “Containment-Politik” Trumanns, die die weltweite Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses zum Ziel hatte und der “Marschall-Plan” sorgten für einen beginnenden Aufschwung und für den Wiederbeginn der politischen Selbstverwaltung in den Westzonen. Meilensteine in diesem Prozess waren die Währungsreform 1948, die Verabschiedung des Grundgesetzes am 23.5.1949 und die erste Bundestagswahl am 14.8.1949, bei der Konrad Adenauer Bundeskanzler wurde. Anders verlief die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone. Die 1946 entstandene SED entschied sich für den “sowjetischen Weg”. So entstand am 7. Oktober 1949 die DDR. Die Teilung Deutschlands war vollzogen und wurde durch den Mauerbau 1961 zementiert.
Gerade in der amerikanischen Besatzungszone, in der auch Talheim lag, begann die politische Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene relativ früh. So gab es bereits im Januar 1946 die ersten Gemeinderatswahlen. Im Juni wurde Robert Ehrenfried als Bürgermeisteramtsverweser eingesetzt und bei der ersten Bürgermeisterwahl 1948 im Amt bestätigt. Er sollte bis 1977 im Amt bleiben und war immer eng mit dem Liederkranz verbunden.
Der Wiederbeginn der aktiven Vereinstätigkeit beim Liederkranz fällt ins Jahr 1948. Auf Anregung von Robert Edler traf man sich am 5.9.1948 zum ersten Mal im Hochstetter. Dabei beschloss man, mit dem alten Vorstand und als reiner Männerchor weiterzumachen. Bereits zwei Tage später fand dann die erste Singstunde statt, allerdings unter “schwacher Beteiligung”. Deshalb wurde im Folgenden für den Verein geworben. Mit Erfolg, denn schon im März 1949 verzeichnet das Protokoll ca. 30 Sänger. Den ersten öffentlichen Auftritt hatte der Verein dann am 29.1.1949 auf dem ersten Familienabend seit 1941. Obwohl die Not in jener Zeit sehr groß war, gab es auch Hoffnung. Hoffnung in die neue Zeit, in eine neue Generation. Da verwundert es nicht, dass das erste Fest, das der Liederkranz feierte, ein Kinderfest (15.5.49) mit Festzug, Karussell und Kinderspielen war. Das Protokoll verzeichnet an diesem Tag “überall Betrieb und frohes Kinderlachen”, was in dieser Zeit besonders wichtig war.
Bereits im Jahre 1951 steuerte der Verein wieder in eine schwere Bestehenskrise. Die Finanzlage war schlecht, Robert Edler konnte als Dirigent nicht mehr gehalten werden. Man schloss sich daraufhin mit den Männern des katholischen Kirchenchors “Cäcilia” zusammen und wählte einen neuen, gemeinsamen Vorstand. Das Interesse der Sänger am Verein war offensichtlich so gering, dass eine außerordentliche Mitgliederversammlung zwecks “Weiterbestehen des Vereins” einberufen wurde. Resultat war der Beschluss, dass sich die Sänger des Liederkranzes ab dem 6.12. 1952 den jeweiligen Kirchenchören anschließen und dass man sich einmal im Monat zu einer gemeinsamen Singstunde treffen wolle. Diese fand jedoch nur einmal -am 3.1.1953- statt. Das Protokoll gibt “konfessionelle Gründe” für das Scheitern an. Es sah in diesem Moment so aus, als ob die Geschichte des Liederkranzes Talheim hier zu Ende wäre.
Es waren die Sänger Walter Veil und Hermann Braun, die die Initiative ergriffen und am 21.11.1953 eine Versammlung zwecks Reaktivierung des Vereins einberiefen. Am 3.12.1953 fand dann mit 18 Sängern die erste Singstunde statt, einen Monat später verzeichnet das Protokoll bereits 30 Sänger. Von da an ging es Aufwärts und so liest man im Protokoll von 1956 als Kommentar zum beständigen Zustrom neuer Sänger: “Wenn das so weitergeht, braucht der Verein in Bälde ein anderes Lokal.”
Der Aufschwung der Wirtschaftswunderjahre und der Erfolg von Erhardts “sozialer Marktwirtschaft” schlugen sich bis ins Vereinsleben durch. Mit der Wahl von Alfred Reustle zum Vorstand am 13.3.1954 begann eine der aktivsten und erfolgreichsten Dekaden der Vereinsgeschichte. Der Verein veranstaltete in den folgenden Jahren unzählige Feste und Konzerte, beteiligte sich federführend am “Talheimer Herbst” und nahm jedes Jahr an mehreren Sängerfesten in der näheren Umgebung einschließlich des Bundessängerfestes 1956 in Stuttgart teil. Der “Liederkranzfasching ‘, der zum ersten Mal im Jahre 1959 in Talheim stattfand, wurde bald zu einer festen Institution im Ort und kann als Vorläufer heutiger Faschingsveranstaltungen gesehen werden. Auch sängerisch war der Verein gut in Form: 1962 erreichte er beim Wertungssingen in Lauffen ein “sehr gut”.
Es wird auch von vielen geselligen Momenten gesprochen, die ein intaktes Vereinsleben ja gerade ausmachen und zu denen die Sänger Fritz Springer, Hugo Föll und Walter Waglöhner immer einen großen Beitrag leisteten. Ebenso bereicherten Ausflüge und Wanderungen das Vereinsleben.
In dieser Zeit gab es auch intensive Kontakte zu einigen befreundeten Vereinen, zum Beispiel den Gesangvereinen aus Rothenburg ob der Tauber oder Weiher an der Bergstraße. Besonders zu erwähnen ist der sehr enge Kontakt, den man zu den Sängern aus Thalheim im Aargau (Schweiz) pflegte. Es wurde hiermit einer der Grundsteine für die heute noch stattfindenden T(h)alheimer Treffen gelegt, bei denen jedes Jahr Vertreter der T(h)alheims im deutschsprachigen Raum zusammenkommen.
Einer der Höhepunkte der Vereinsgeschichte fällt ebenso in diese Epoche. Vom 31.8. bis 2.9.1957 richtete man im Rahmen des (verspäteten) 75jährigen Jubiläums ein Bezirksliederfest aus, das von der Gausängerzeitung als “Ein Vorbild für künftige Festveranstaltungen” bezeichnet wurde. Man ging dabei einen neuen Weg und verzichtete auf den bis dahin üblichen Festrummel. Die vollkommene Ruhe, die bei den Gesangsvorträgen geherrscht hat, hat dafür gesorgt, dass eine ganz besondere Atmosphäre den intensiven Genuss der dargebotenen Musik ermöglichte. Das in diesem Rahmen veranstaltete Kritiksingen wurde sogar vom Süddeutschen Rundfunk im Radio übertragen. Dabei war dies nicht der einzige Radioauftritt des Vereins. Im Jahr 1961 wirkte der Verein sogar an einer Fernsehsendung des Süddeutschen Rundfunks mit.
Das Bezirksliederfest brachte aber noch eine weitere Neuerung für den Verein: Der gemischte Chor wurde auf Anregung von Dirigent Struckmann gegründet. Somit konnten auch Frauen wieder aktiv im Verein mitwirken. Es gab deshalb zeitweise 3 Chöre unter dem Dach des Liederkranzes: Den Männerchor, den gemischten Chor und die “Schozachschiffer”, die Seemannslieder zum Besten gaben.
Und noch ein Fest konnte gefeiert werden: Vom 24. bis 26. Juni 1967 veranstaltete der Verein aus Anlass seines 90-jährigen Bestehens ein Liederfest des Bezirks Lauffen. 20 Vereine waren damals zu Gast und auch dieses Fest wurde für den Verein wieder ein großer Erfolg.
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Vorstände
1970 – 2001: Von den Ostverträgen ins vereinte Deutschland
Nach langen Jahren des Aufschwungs in den 50er und frühen 60er Jahren erhielt die Konjunkturkurve im Jahr 1965 zum ersten Mal einen Knick, in dessen Folge in Deutschland eine “große Koalition” aus CDU und SPD die bis dahin regierende bürgerliche Koalition ablöste. 1969 gab es dann einen erneuten Wechsel. Bis ins Jahr 1982 regierte eine sozial-liberale Koalition aus SPD und FDP Nachdem unter Adenauer die Normalisierung der Beziehungen gen Westen erfolgt war, fällt in die Amtszeit der Regierung Brandt die Normalisierung gen Osten. Es wurden Verträge mit der UdSSR (1970), der DDR (1972) und der CSSR (1973) geschlossen. (sog. Ostverträge)
Auch weltweit erfolgte nach der Zeit der Hochrüstung und des kalten Krieges zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion eine Phase der Kooperation und Entspannung. So wurden 1972 und 1979 die Abrüstungsverträge SALT 1/11 abgeschlossen und 1975 die “Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” (KSZE) ins Leben gerufen. Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 und der NATO-Doppelbeschluss (ebenfalls 1979), sowie eine “Politik der Stärke” der Reagan-Administration in Washington ließen die Beziehungen zwischen den Supermächten in den 80ern wieder auf einen Tiefpunkt sinken. Das änderte sich erst, als im Jahre 1985 in Moskau Michail Gorbatschow zum Generalsekretär des ZK wurde. Seine Politik des “Glasnost” und “Perestroika” führten zu einer weltweiten Entspannung und in Folge zu den friedlichen Revolutionen in den osteuropäischen Staaten im Jahre 1989. So endete die deutsche Teilung mit der Öffnung der Mauer am 9. November 1989. Die Regierung Kohl, die seit 1982 im Amt war, erkannte die Chance der Stunde und so kam es bereits am 3. Oktober 1990 zum Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Deutschland war wiedervereinigt!
Talheim veränderte sich in diesen Jahrzehnten ganz maßgeblich. 1969 schnaufte der letzte Zug durchs Ort. Auf der stillgelegten Bahnstrecke wurde ein beliebter Rad-und Wanderweg angelegt. Nachdem 1966 bereits das neue Schulhaus eingeweiht wurde, durfte Bürgermeister Ehrenfried 1976 die neue Schlossberghalle ihrer Bestimmung übergeben. Die Ausweisung des Gewerbegebiets “Rauher Stich” 1970 sorgte für eine nachhaltige Entwicklung des Ortes. Neue Wohngebiete wie die “Mühläcker” (1982) oder “Wart” (1991) erlaubten ein beständiges Wachsen des Ortes und in den Jahren 1982-1985 wurde der gesamte Ortskern durch den Bau eines Rathauses und Dienstleistungszentrums verändert.
Dabei blieb man auch nach der Gemeindereform von 1970 selbstständig. Diese hatte tiefe Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern im Ort gezogen, die teilweise durch Familien gingen und auch den Liederkranz berührten. So verzeichnet das Protokoll im Jahre 1970 ein schlechtes Klima im Verein, ausgelöst eben durch jene Gemeindereform. Ansonsten gestaltete sich das Vereinsleben zu Beginn der 70erJahre jedoch sehr harmonisch. Viele Dinge wie die Himmelfahrtswanderung oder ein alljährliches Zwiebelkuchenessen waren bereits langjährige Gewohnheit und wurden weiterhin gepflegt.
Vom 11. bis 13. Juni 1977 war wieder ein großes Fest angesagt: Der Verein feierte in der neu gebauten Schlossberghalle sein 100-jähriges Bestehen. In diesem Rahmen veranstaltete der Liederkranz ein Bezirks-Liederfest mit Kritiksingen, an dem sich 15 Vereine beteiligten. Ein Festzug und ein bunter Abend rundeten die Veranstaltung ab. Wie jedes vom Liederkranz veranstaltete Liederfest wurde auch dieses ein großer Erfolg, nicht zuletzt auch durch die großen Anstrengungen des damaligen Vorstands Kurt Gärtner.
Zu diesem Anlass wurde dem Verein eine ganz besondere Ehrung zuteil: Er erhielt die Zelterplakette, die höchste und begehrteste Auszeichnung, die es in Deutschland für Chöre gibt. Die Zelterplakette geht auf einen Erlass des 1. Bundespräsidenten Theodor Heuss aus dem Jahre 1956 zurück: Sie soll Chören vorbehalten sein, “die sich in langjährigem Wirken besondere Verdienste um die Pflege der Chormusik und des deutschen Volksliedes und damit um die Förderung des kulturellen Lebens erworben haben.”
Im Jahre 1979 fand zum ersten Mal der sogenannte „Dreierfasching” statt, der vom Musikverein, Sportverein und Liederkranz veranstaltet wurde. Dieser war jedes Jahr ein großer Erfolg. Die großen versicherungstechnischen Risiken und die sehr große Arbeitsbelastung der Mitglieder veranlasste den Verein im Jahre 1992 jedoch dazu, aus dem Dreierfasching auszusteigen.
Auch das “Talheimer Gassenfest”, das seit 1979 im 2-Jahresrhytmus stattfindet, gehört fest ins Programm des Liederkranzes. Jedes Mal kann der Verein wieder zufriedene Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten in der “Liederkranz-Laube” verwöhnen.
Die 80er Jahre werden vielen Vereinsmitgliedern sicher noch wegen der schönen Ausflüge in Erinnerung sein: Man fuhr in den bayrischen Wald, ins Fichtelgebirge, den Schwarzwald und Kaiserstuhl und nach Landsberg, um nur einige zu nennen. 1982 feierte man das 25-jährige Bestehen des gemischten Chors.
Eine Freundschaft der ganz besonderen Art ergab sich nach der Maueröffnung 1989: Bereits auf dem T(h)alheimer Treffen 1990 knüpfte man Kontakte zum Chor aus Thalheim im Erzgebirge. Im März 1992 kamen dann zum ersten Mal 60 Sängerinnen und Sänger aus Sachsen zu einem gemeinsamen Konzert ins Schwabenland. Der Gegenbesuch erfolgte bereits im Jahre 1993, als sich der Liederkranz Talheim an einem Konzert im Erzgebirge beteiligte. Auch auf privater Ebene wurden zwischen den Sängern Freundschaften geknüpft, die bis heute Bestand haben. Seither kam es immer wieder zu Besuchen und Gegenbesuchen der beiden Vereine.
Auf musikalischem Gebiet machte man sich in den 90er Jahren auch einen Namen. Zwei Chorwettbewerbe fanden in Talheim statt. Der erste im Jahre 1994. Damals nahmen 33 Chöre mit insgesamt 1350 Sängerinnen und Sängern teil. Der zweite Chorwettbewerb fand im Jahre 1998 mit 25 teilnehmenden Chören statt. Beide Wettbewerbe brachten dem Verein viel Ansehen und Lob ein.
Und auch im Festjahr 2002 hat sich der Verein, dem seit 1996 Wolfgang Kettlitz vorsteht, viel vorgenommen. Mit dem neuen Dirigenten Jan Riedel, der den Verein seit dem Jahr 2000 leitet, ist viel frischer Wind ins Vereinsleben gekommen. So probt der Verein zusammen mit Projektsängern aus den Nachbargemeinden und aus Talheim seit beinahe einem Jahr an Haydns “Schöpfung”, die im Rahmen des 125-jährigen Jubiläums im Mai 2002 zur Aufführung kommen wird.
Zudem hat der Verein schon 1998 unter der Leitung von Gabriele Kern einen Kinderchor, das “Singkarussell” gegründet. Zwischenzeitlich hatte dieser Kinderchor schon zwei Gruppen, die älteren Jungen und Mädchen wurden von Sina Firniss geleitet.
In seinen 125 Jahren hat der Verein viele Höhen und Tiefen mitgemacht. Er hat es geschafft, Zeiten der Not und der Armut zu überstehen. Er hat seinen Sängern zu allen Zeiten immer ein Zuhause gegeben, in dem Geselligkeit und die gemeinsame Freude am Singen das verbindende Element war. So bleibt zu hoffen, dass es der Liederkranz Talheim, trotz der immer wieder zitierten Vereinsmüdigkeit in Deutschland schafft, sein Bestehen auch während der nächsten 125 Jahre zu sichern. Die Weichen hierfür sind jedenfalls gestellt!