Bundesrepublik II: Von den Ostverträgen ins vereinte Deutschland (1970 - heute)

Nach langen Jahren des Aufschwungs in den 50er und frühen 60er Jahren erhielt die Konjunkturkurve im Jahr 1965 zum ersten Mal einen Knick, in dessen Folge in Deutschland eine "große Koalition" aus CDU und SPD die bis dahin regierende bürgerliche Koalition ablöste. 1969 gab es dann einen erneuten Wechsel. Bis ins Jahr 1982 regierte eine sozial-liberale Koalition aus SPD und FDP Nachdem unter Adenauer die Normalisierung der Beziehungen gen Westen erfolgt war, fällt in die Amtszeit der Regierung Brandt die Normalisierung gen Osten. Es wurden Verträge mit der UdSSR (1970), der DDR (1972) und der CSSR (1973) geschlossen. (sog. Ostverträge)

Auch weltweit erfolgte nach der Zeit der Hochrüstung und des kalten Krieges zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion eine Phase der Kooperation und Entspannung. So wurden 1972 und 1979 die Abrüstungsverträge SALT 1/11 abgeschlossen und 1975 die "Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) ins Leben gerufen. Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 und der NATO-Doppelbeschluss (ebenfalls 1979), sowie eine "Politik der Stärke" der Reagan-Administration in Washington ließen die Beziehungen zwischen den Supermächten in den 80ern wieder auf einen Tiefpunkt sinken. Das änderte sich erst, als im Jahre 1985 in Moskau Michail Gorbatschow zum Generalsekretär des ZK wurde. Seine Politik des "Glasnost" und "Perestroika" führten zu einer weltweiten Entspannung und in Folge zu den friedlichen Revolutionen in den osteuropäischen Staaten im Jahre 1989. So endete die deutsche Teilung mit der Öffnung der Mauer am 9. November 1989. Die Regierung Kohl, die seit 1982 im Amt war, erkannte die Chance der Stunde und so kam es bereits am 3. Oktober 1990 zum Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Deutschland war wiedervereinigt!

Talheim veränderte sich in diesen Jahrzehnten ganz maßgeblich. 1969 schnaufte der letzte Zug durchs Ort. Auf der stillgelegten Bahnstrecke wurde ein beliebter Rad-und Wanderweg angelegt. Nachdem 1966 bereits das neue Schulhaus eingeweiht wurde, durfte Bürgermeister Ehrenfried 1976 die neue Schlossberghalle ihrer Bestimmung übergeben. Die Ausweisung des Gewerbegebiets "Rauher Stich" 1970 sorgte für eine nachhaltige Entwicklung des Ortes. Neue Wohngebiete wie die "Mühläcker" (1982) oder "Wart" (1991) erlaubten ein beständiges Wachsen des Ortes und in den Jahren 1982-1985 wurde der gesamte Ortskern durch den Bau eines Rathauses und Dienstleistungszentrums verändert.

Dabei blieb man auch nach der Gemeindereform von 1970 selbstständig. Diese hatte tiefe Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern im Ort gezogen, die teilweise durch Familien gingen und auch den Liederkranz berührten. So verzeichnet das Protokoll im Jahre 1970 ein schlechtes Klima im Verein, ausgelöst eben durch jene Gemeindereform. Ansonsten gestaltete sich das Vereinsleben zu Beginn der 70erJahre jedoch sehr harmonisch. Viele Dinge wie die Himmelfahrtswanderung oder ein alljährliches Zwiebelkuchenessen waren bereits langjährige Gewohnheit und wurden weiterhin gepflegt.

Vom 11. bis 13. Juni 1977 war wieder ein großes Fest angesagt: Der Verein feierte in der neu gebauten Schlossberghalle sein 100-jähriges Bestehen. In diesem Rahmen veranstaltete der Liederkranz ein Bezirks-Liederfest mit Kritiksingen, an dem sich 15 Vereine beteiligten. Ein Festzug und ein bunter Abend rundeten die Veranstaltung ab. Wie jedes vom Liederkranz veranstaltete Liederfest wurde auch dieses ein großer Erfolg, nicht zuletzt auch durch die großen Anstrengungen des damaligen Vorstands Kurt Gärtner.

Zu diesem Anlass wurde dem Verein eine ganz besondere Ehrung zuteil: Er erhielt die Zelterplakette, die höchste und begehrteste Auszeichnung, die es in Deutschland für Chöre gibt. Die Zelterplakette geht auf einen Erlass des 1. Bundespräsidenten Theodor Heuss aus dem Jahre 1956 zurück: Sie soll Chören vorbehalten sein, "die sich in langjährigem Wirken besondere Verdienste um die Pflege der Chormusik und des deutschen Volksliedes und damit um die Förderung des kulturellen Lebens erworben haben."

Im Jahre 1979 fand zum ersten Mal der sogenannte „Dreierfasching" statt, der vom Musikverein, Sportverein und Liederkranz veranstaltet wurde. Dieser war jedes Jahr ein großer Erfolg. Die großen versicherungstechnischen Risiken und die sehr große Arbeitsbelastung der Mitglieder veranlasste den Verein im Jahre 1992 jedoch dazu, aus dem Dreierfasching auszusteigen.

Auch das "Talheimer Gassenfest", das seit 1979 im 2-Jahresrhytmus stattfindet, gehört fest ins Programm des Liederkranzes. Jedes Mal kann der Verein wieder zufriedene Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten in der "Liederkranz-Laube" verwöhnen.

Die 80er Jahre werden vielen Vereinsmitgliedern sicher noch wegen der schönen Ausflüge in Erinnerung sein: Man fuhr in den bayrischen Wald, ins Fichtelgebirge, den Schwarzwald und Kaiserstuhl und nach Landsberg, um nur einige zu nennen. 1982 feierte man das 25-jährige Bestehen des gemischten Chors.

Eine Freundschaft der ganz besonderen Art ergab sich nach der Maueröffnung 1989: Bereits auf dem T(h)alheimer Treffen 1990 knüpfte man Kontakte zum Chor aus Thalheim im Erzgebirge. Im März 1992 kamen dann zum ersten Mal 60 Sängerinnen und Sänger aus Sachsen zu einem gemeinsamen Konzert ins Schwabenland. Der Gegenbesuch erfolgte bereits im Jahre 1993, als sich der Liederkranz Talheim an einem Konzert im Erzgebirge beteiligte. Auch auf privater Ebene wurden zwischen den Sängern Freundschaften geknüpft, die bis heute Bestand haben. Seither kam es immer wieder zu Besuchen und Gegenbesuchen der beiden Vereine.

Auf musikalischem Gebiet machte man sich in den 90er Jahren auch einen Namen. Zwei Chorwettbewerbe fanden in Talheim statt. Der erste im Jahre 1994. Damals nahmen 33 Chöre mit insgesamt 1350 Sängerinnen und Sängern teil. Der zweite Chorwettbewerb fand im Jahre 1998 mit 25 teilnehmenden Chören statt. Beide Wettbewerbe brachten dem Verein viel Ansehen und Lob ein.

Und auch im Festjahr 2002 hat sich der Verein, dem seit 1996 Wolfgang Kettlitz vorsteht, viel vorgenommen. Mit dem neuen Dirigenten Jan Riedel, der den Verein seit dem Jahr 2000 leitet, ist viel frischer Wind ins Vereinsleben gekommen. So probt der Verein zusammen mit Projektsängern aus den Nachbargemeinden und aus Talheim seit beinahe einem Jahr an Haydns "Schöpfung", die im Rahmen des 125-jährigen Jubiläums im Mai 2002 zur Aufführung kommen wird.

Zudem hat der Verein schon 1998 unter der Leitung von Gabriele Kern einen Kinderchor, das "Singkarussell" gegründet. Mittlerweile hat diese Kinderchor schon zwei Gruppen, die älteren Jungen und Mädchen werden von Sina Firniss geleitet.

In seinen 125 Jahren hat der Verein viele Höhen und Tiefen mitgemacht. Er hat es geschafft, Zeiten der Not und der Armut zu überstehen. Er hat seinen Sängern zu allen Zeiten immer ein Zuhause gegeben, in dem Geselligkeit und die gemeinsame Freude am Singen das verbindende Element war. So bleibt zu hoffen, dass es der Liederkranz Talheim, trotz der immer wieder zitierten Vereinsmüdigkeit in Deutschland schafft, sein Bestehen auch während der nächsten 125 Jahre zu sichern. Die Weichen hierfür sind jedenfalls gestellt!

Bilder

Vorstände

(Verfasser: Dipl.-Verw. Wiss Joachim Krauß)
(Redaktionelle Überarbeitung fürs Internet: Fabio Gergs)