Gründerzeit und 1. Weltkrieg (1876 - 1918)
"Wo man singt, da lass Dich ruhig nieder, böse Männer haben keine Lieder"
Mit diesem Aufruf beginnt im Sommer des Jahres 1876 die Geschichte des Gesangvereins Liederkranz Talheim. Damals hatten sich um Schullehrer Hugo Schüssler 11 Männer versammelt, um das sogenannte "Talheimer Doppelquartett" zu gründen.
Die Mitglieder des Talheimer Doppelquartetts bei seiner Gründung 1876
1. Tenor | 2. Tenor | 1. Bass | 2. Bass |
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Karl Bader | Louis Ellwanger | Louis Ensinger | Wilhelm Ensinger |
Robert Kurz | Adolf Kögel | Louis Feyerabend | Rudolf Meintel |
Karl Schmied | Gärtner Schmalzhaf | Fritz Krauß |
Die Gründung des Gesangvereins fiel in eine Zeit, die als die „Gründerjahre" bezeichnet wird. Nach dem deutsch-französischen Krieg der Jahre 1870/71 kam es im Jahre 1871, begleitet von einer Welle patriotisch-nationaler Gefühle, zur Gründung des deutschen Reiches. Es schlossen sich damals die Länder Bayern, Hessen-Darmstadt, Württemberg und Baden dem Norddeutschen Bund an. Der preußische König Wilhelm I. wurde Kaiser, Otto von Bismarck war Reichskanzler.
Auch wirtschaftlich war es eine Zeit der großen Veränderungen. Die Eisenbahn verbreitete sich mehr und mehr und ab ca. 1870 begann die Phase der Hochindustrialisierung, in der die optische, die Motoren- und Elektroindustrie dominierte. In diese Zeit fällt mit der Einführung der Kranken-, Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung (1881-1889) auch der Anfang staatlicher Sozialpolitik, womit auf die oft erbärmlichen Lebensverhältnisse der Industriearbeiter und der zunehmenden Bedeutung der sozialistischen Arbeiterbewegung reagiert wurde.
Auch in Talheim machte sich die Gründerzeit durch viele Bautätigkeiten bemerkbar, die das Ortsbild, aber auch das Leben im Ort wesentlich veränderten. So wurde 1879 das "neue" Rathaus gebaut, das bis 1983 Amtssitz der Talheimer Gemeindeverwaltung bleiben sollte. Die katholische Kirche wurde 1886 fertig gestellt und sowohl ein evangelisches (1880) als auch ein katholisches (1893) Schulhaus unterstrichen Stellenwert von Bildung in der neuen Zeit. Mit der Einweihung der Bahnstrecke Heilbronn - Marbach und der Einrichtung einer Poststelle im Jahre 1900 war Talheims infrastrukturelle Anbindung wesentlich verbessert worden. Die Einführung einer Wasserleitung 1908 und die beginnende Elektrifizierung 1910-1912 sorgten schließlich für eine Verbesserung der Lebensqualität der Talheimer.
Trotz Industrialisierung in Deutschland blieb Talheim eine überwiegend landwirtschaftlich geprägte Gemeinde, wobei Weinbau, Kartoffelanbau und Obstbau die größte Rolle spielen. Mehrere Steinbrüche waren die einzigen vorhandenen Industriebetriebe.
Diese Epoche kann auch als Epoche der Vereinsgründungen betrachtet werden. So war es auch in Talheim. Vereinsarbeit war zu dieser Zeit reine Männersache. Geregelt wurde dies in einem Bundesgesetz aus dem Jahr 1854, nach dem es Frauen verboten war, in Vereinen mitzuwirken. Dieses Gesetz galt bis 1908. Gründungsanlässe für Gesangsvereine waren oft die Freude am Singen und der Wunsch nach gediegener Geselligkeit. Dieses waren mit Sicherheit wesentliche Gründe für die Gründung des Talheimer Doppelquartetts. Denn aus den Protokoll- und Kassenbüchern geht deutlich hervor, welchen Stellenwert die Geselligkeit im Verein hatte. So wurde auf Vereinsfeiern und Sitzungen immer auf Kosten des Vereins getrunken. In den Kassenbüchern finden sich regelmäßig Positionen, die den Erwerb einiger (nicht weniger) Fässer Bier illustrieren.
Der Verein übte sich jedoch nicht nur in geselligem Beisammensein, sondern nahm auch regelmäßig an Festen im Ort, zum Beispiel an einer Sedansfeier im Jahr 1883, aber auch an Festen im näheren Umkreis teil. So sei hier ein Bezirksfest in Sontheim im Jahre 1884, ein Feuerwehrfest in „Kalten Westen"(heute Neckarwestheim) im selben Jahr, ein Sängerfest in Heilbronn (1886) oder die Fahnenweihe in Flein (1892) erwähnt. Auch von Vereinsausflügen wird berichtet. Diese führten den Verein nach Bad Wimpfen (1907), Marbach am Neckar (1909) oder auch nach Güglingen, Michelsberg und Bönnigheim (1911). Dabei war es Gang und Gäbe, bei Festen und Ausflügen jedem teilnehmenden Vereinsmitglied ein Festgeld auszubezahlen, das sich zwischen 0,50 und 3 Mark bewegte. Einen Obolus vom Verein erhielt bei den Festen auch der „Täfelesträger". Sowohl die Bezahlung von Fest- und Ausflugsgeld als auch die Bezahlung von Bier bei Vereinsanlässen endete im Jahre 1914, im Rahmen einer Verringerung der Mitgliedsbeiträge.
Gesungen wurde zudem auf Hochzeiten, Geburtstagen und Beerdigungen von Vereinsmitgliedern und gegen Gebühr auch bei Nicht-Mitgliedern. Ein besonderes Jahr in der Vereinsgeschichte ist das Jahr 1906. In diesem Jahr wurde aus dem Talheimer Doppelquartett der Gesangverein Liederkranz. Dirigent war damals Lehrer Kuch, auf den, nach dessen plötzlichem Ableben 1907, Lehrer Weber folgte. Friedrich Krauß wurde erster Vorstand. Der Verein hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 25 aktive Mitglieder. Von diesem Jahr an wurden regelmäßig im Februar Familienabende veranstaltet, bei denen neben Gesang auch immer Theaterstücke zur Aufführung kamen und zwar so erfolgreich, dass diese teilweise noch ein zweites Mal öffentlich aufgeführt wurden. So im Jahre 1910, was dem Verein damals Einnahmen in Höhe von 32 Mark einbrachten.
Besonders zu erwähnen ist auch das Verhältnis des Vereins zur evangelischen Kirche. Obwohl der Liederkranz ein weltlicher Chor war, kann davon ausgegangen werden, dass er teilweise auch die Aufgaben eines evangelischen Kirchenchors übernahm. Im Gegenzug erhielt er von der evangelischen Stiftungspflege jährlich einen Zuschuss in Höhe von 25 Mark. Auch bei der Anschaffung eines Klaviers im Jahre 1909 beteiligte sich der evangelische Schulfonds mit 50 Mark an den Gesamtkosten von 200 Mark. Dafür wurde das Klavier auch für den Unterricht in der evangelischen Schule verwendet.
Am 28.7.1914 erklärte Österreich-Ungarn nach der Ermordung des k.u.k.-Thronfolgers Serbien den Krieg. Der erste Weltkrieg hatte begonnen. Auch der Liederkranz Talheim war betroffen. Von 24 aktiven Sängern müssen 14 zum Kriegsdienst einrücken. Jeder von ihnen erhält aus diesem Anlass 3 Mark vom Verein. Gemessen an den großen Verlusten des Krieges hat der Verein Glück. Nur ein Mitglied (Karl Braun) kehrt nicht zurück. Das Protokollbuch verweist auf den Kriegsausbruch, dann Enden die Aufzeichnungen bis 1919. Aus dem Kassenbericht geht aber hervor, dass der Verein zumindest bis ins Jahr 1916 auch gesanglich aktiv war.
Dirigenten | Vorstände | ||
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1876 - 1903 | Lehrer Schüssler | 1876 - 1903 | Hugo Schüssler |
1903 - 1906 | Sänger des "Doppelquartetts" | 1903 - 1906 | Sänger des "Doppelquartetts" |
1906 - 1907 | Lehrer Kuch | 1906 - 1909 | Friedrich Krauß |
1907 - 1908 | Lehrer Weber | 1909 - 1928 | Hermann Sillinger |
1908 - 1914 | Lehrer Rauscher | ||
1914 - 1916 | Hauptlehrer Lang | ||
1916 - 1920 | Hauptlehrer Leichtle |
Bilder |
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Was sonst noch war... | |
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1876 | Nikolaus August Otto erfindet den Viertaktmotor. |
Die ersten Bayreuther Festspiele beginnen. | |
1877 | In Berlin erhält Franziska Tiburtius als erste Ärztin die Zulassung. |
1878 | In Hannover wird der erste deutsche Fußballverein gegründet. |
1880 | Der Kölner Dom wird nach einer Bauzeit von 632 Jahren vollendet. |
1883 | Karl Marx stirbt im Alter von 74 Jahren in London. |
1885 | Carl Benz stellt den ersten Benzin-Motorwagen vor. |
1886 | Der bayrische König Ludwig II ertrinkt im Starnberger See. |
1887 | Emil Berliner erfindet das Grammophon |
1895 | Wilhelm Conrad Rontgen entdeckt die Röntgenstrahlen. |
1896 | Die ersten olympischen Spiele der Neuzeit finden in Athen statt. |
1897 | W. Krische und A. Spitteler entwickeln den erstn Kunststoff. |
1898 | K.F. Braun erfindet die Bildröhre (Braunsche Röhre). |
1900 | Im Großherzogtum Baden haben Frauen erstmalig unbeschränkten Zugang zu den Hochschulen. |
1901 | In Stockholm werden zum ersten Mal die Nobelpreise verliehen. |
1908 | Nach der Gründung des DFB verliert Deutschland sein erstes Länderspiel gegen die Schweiz mit 5:3. |
1912 | Die Titanic sinkt am 14. April im Nordatlantik. Von 2207 Passagieren und Basatzungsmitgliedern werden nur 712 gerettet. |
1915 | Albert Einstein veröffentlicht die "Allgemeine Relativitätstheorie". |